Auszüge aus den Einführungsreden zur
Ausstellung Mathematik und Inspiration
(2006)
Einführung (Prof. Dr. Günter Ewald)
Mathematik und Kunst, Mathematik und Malerei haben mehr
miteinander zu tun als es mancher vermuten mag. Aufgefallen ist vielleicht die
Entdeckung der Zentralperspektive durch Leonardo da Vinci, die ein neues Element
der Exaktheit in die Malerei brachte, oder das gemeinsame Interesse an der
Symmetrie, die in Rosetten gotischer Kirchen ebenso eine Rolle spielt wie in
vielen mathematischen Theorien, insbesondere solchen, die in der Physik
gebraucht werden. Einsteins große Entdeckungen sind zum beträchtlichen Teil auf
Symmetrie gegründet. Und der große Mathematiker und theoretische Physiker
Hermann Weyl schrieb Mitte des 20. Jahrhunderts ein Buch Symmetrie , in
dem er viele Beispiele von Symmetrie in Kunstwerken ebenso wie der Natur
darstellt, bei Kristallen, Schneeflocken, Pflanzen und Tieren. Oder denken Sie
an das Gemälde Christus Hypercubus von Salvatore Dali, in dem als
Kruzifix ein Doppelkreuz aus 8 Würfeln dient, die in ähnlicher Weise zu einem
vierdimensionalen Würfel zusammengefügt werden können wie ein Kreuz aus sechs
Quadraten zu einem 3-dimensionalen Würfel. Aber die Verbindung reicht tiefer.
Mathematische Gesetze neu zu entdecken bedarf der Intuition, der Inspiration,
die weit über das Formelhafte hinausgeht. Unter Mathematikern kursiert ein
Spruch: Wenn man eine neue mathematische Erkenntnis gewinnen will, muss das
logische Denken ausgeschaltet sein. Das setzt Logik nicht herab, sondern
öffnet ihr neue Bereiche, in denen sie das in ästhetischer Exaktheit Geschaute
in Formeln gießen kann. Dieser Prozess mag in Kunst und Mathematik
unterschiedlich ausgeprägt sein. Der Unterschied wird allerdings gering, wenn
wir uns dem Werk von Peter Kenter nähern. Hier werden unmittelbar mathematische
Sachverhalte ästhetisiert, aber auch mit neuem Verständnis ausgestattet. Nehmen
sie als Beispiel die Serie über Polykuben. Auch der Hyperkubus von Dali ist ein
Polykubus, aber er hat seine Bedeutung als Symbol. Bei Herrn Kenter ist die
Klassifikation von Polykuben selbst Thema, in dem sich Logik und Ästhetik
durchdringen. Ein anderes hübsches Beispiel ist das auf der Einladungskarte
wiedergegebene Bild Progression. Es drückt den zahlentheoretischen
Sachverhalt aus, dass die Summe der dritten Potenzen der Zahlen von 1 bis 15
eine Quadratzahl ist: Von rechts oben nach links unten entfalten sich die in
Winkeln zu Kuben geordneten Quadrate in einem bunten Werden, das dem
ästhetischen und dem mathematischen Auge gleichermaßen gefällt. Herr Kenter
hat mit einigen seiner Bilder nicht nur zahlentheoretische Sachverhalte
ästhetisiert, sondern neue Sachverhalte entdeckt. Zahlenformeln durch
Ästhetisieren gewinnen? das scheint mir neu zu sein und dazu möchte ich dem
Künstler besonders gratulieren. Wenn Sie die verschiedenartigen Bilder auf
sich wirken lassen, so erwarten sie nicht, dass Sie die mathematischen
Hintergründe immer gleich verstehen, da muss sich auch ein Mathematiker
anstrengen. Aber schauen Sie die Bilder in der Gewissheit an, dass sie ein
mathematisches Geheimnis in sich bergen, gewissermaßen eine explosive logische
Dynamik bereit halten. Ihnen, Herr Kenter, meine Glückwünsche und Ihnen, meine Damen und Herren viel Spaß!
Ich würde mich freuen, wenn Sie gelegentlich die Mathematische Modellsammlung besuchten, die auf ihre Weise zum Verhältnis von Mathematik und Kunst beiträgt.
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Auszüge aus der Eröffnungsrede von Dr. Hella Nocke-Schrepper,
Kunsthistorikerin, Essen
Peter Kenter verbindet zwei unterschiedliche
Bereiche in seinen Bildern: mathematische Elemente wie Verhältnisse von
Zahlen, Formeln oder Gleichungen mit künstlerischen Mitteln wie Form,
Linie und Farbe. So drückt der Titel der Ausstellung, Mathematik und
Inspiration, die beiden Pole der künstlerischen Arbeit des gebürtigen
Detmolders aus.
(...)
Elemente konstruktiver Kunstrichtungen herrschen in den Bildern Kenters vor:
neben Rechtecken, Mehrecken und Streifen nimmt das Quadrat eine
prädestinierte Stellung in seinen Bildgestaltungen ein. Aus koloristischer
Sicht setzt er vorzugsweise reine Farben wie die Primärfarben, das Grün
und die unbunten Farben ein. Farbe hat in den Bildern in erster Linie die
Funktion der Unterscheidung von Formen und der Veranschaulichung
bildnerischer Beziehungen und Verhältnisse. Mit diesem Bildvokabular
basiert die Arbeit des Malers auf konstruktiv geprägte
Kunstrichtungen. Seitdem der Kubismus den Gegenstand mittels der
Mehransichtigkeit tendenziell immer stärker auflöst und in die
Bildfläche einbindet, negieren konstruktive Kunstansätze den natürlichen
Gegenstand vollständig in ihren Arbeiten und streben autonome
Gestaltungsvokabularien und -gesetze an. Seit Theo van Doesburg, aus dem
Kreis der De Stijl-Künstler hervorgehend, im zweiten Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts auf deutliche Distanz zu abstrahierenden Kunstansätzen
geht, gilt eine Linie, eine Fläche und eine Farbe in der
künstlerischen Gestaltung als konkret. Im Jahr 1930, dem
Erscheinungsjahr des Manifestes Art Concret in Paris, beginnt der Kampf
um die Anerkennung der nichtfigürlichen Darstellung. Während des Zweiten
Weltkrieges findet er seine Fortsetzung vor allem in der Schweiz im Kreis
der "Zürcher Konkreten" , zu deren wichtigsten Theoretikern Max Bill und
Richard Paul Lohse
zählen.
(...)
Kenter nimmt die Mathematische Denkweise in der Kunst von Bill
wörtlich: in diesem kunsttheoretischen Text aus dem Jahr 1949 favorisiert
der Schweizer präskriptive Methoden zur Gliederung gestalterischer
Arbeit. Die Affinität der Kunst zur Mathematik sieht Bill in der Realisation
eines Systems mit geometrischen Bildelementen auf der Fläche oder im Raum,
deren Ergebnisse nachvollziehbare Strukturen
darstellen .
(...)
Als studierter Mathematiker thematisiert Kenter mathematische
Gesetze, Zahlenreihen und deren Verhältnisse als Grundlagen seiner
Bildstrukturen. Auf diese Weise entstehen Permutationen, Kombinationen,
Progressionen und Zerlegungen von Formen, deren Zusammenhänge durch die
Farbverteilungen unterstrichen werden.
(...)
Die Bildformen versteht Kenter als Module zur Visualisierung von
Variationen und Vervielfältigungen. Das zu Grunde liegende mathematische
Gesetz ist mehr oder weniger nachvollziehbar. In jüngeren Arbeiten werden
die komplexen schwarz-weißen Strukturen durch den Computer errechnet.
Wichtiger wird dem Maler die ästhetische Erscheinungsform seines
mathematischen Inhalts. So bewegen sich die Arbeiten Kenters zwischen
konkret-konstruktiver Gestaltung, durch den Computer entwickelte Strukturen
und mathematischen Visualisierungen.
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